Wo rechte Parteien vormals erfolgreich waren, war die AFD erfolgreich: eine Mini-Analyse anlässlich der Europaparlamentswahl 2014 mit Essener Stadtteildaten

Von Achim Goerres

In einer Regressionsanalyse zeigt Achim Goerres, dass die AfD bei der EP-Wahl in den Essener Stadtteilen tendenziell besser abschnitten, in denen traditionell die rechten Parteien Erfolge eingefahren hatten. „Rechtspopulismus“ lässt sich demnach nicht nur bei den Kampagnen, sondern auch den Wahlerfolgen der AfD nachweisen.

Bundesweit holte die AfD 7,1 Prozent aller Stimmen, also mehr als zwei Millionen Stimmen. Was begründete ihren Erfolg bei der Europawahl 2014? Neue, kleine Parteien sind für die Wahlforschung immer eine Herausforderung. Ihre Wähler kommen nicht sehr zahlreich in den Stichproben der großen Umfragen vor, d.h. eine Analyse dieser Wähler mit Individualdaten scheitert häufig an zu wenigen Wählern der jeweiligen Partei in der Stichprobe. Eine Alternative zur Individualanalyse mit Umfragedaten ist die Analyse von Stadtteildaten. Glücklicherweise erheben viele Großstädte systematisch Daten zu ihren Stadtteilen, so auch unsere Mutterstadt Essen. Essen wird statistisch in 50 Stadtteile aufgeteilt, und zu jedem Stadtteil kennt man die lokale Arbeitslosenquote, die Anzahl der Sozialhilfeempfänger, den Anteil der Wähler, die für eine bestimmte Partei gestimmt haben etc. Diese Stadtteildaten bieten den Vorteil, dass sie relativ kleinflächig sind und deswegen relativ homogene Wohnbevölkerungen abbilden.

 

Abbildung 1: „Essen Stadtteile und Stadtbezirke“ von Markus Baumer

AFD_Essen

Die AfD erlangte in den Essener Stadtteilen im Schnitt 6,1 Prozent der Stimmen. Beispielsweise lag der Stadtteil Heisingen diesem Mittelwert sehr nahe. Am schlechtesten schnitt die AfD mit 4,4 Prozent im Stadtteil „Stadtkern“ ab, also der Gegend nördlich des HbF und südlich des Uni-Campus‘; ihr bestes Stadtteilergebnis erzielte sie im südwestlichen Schuir mit 8,0 Prozent.

Als erstes Muster fällt hier auf, dass das AfD-Ergebnis relativ zu anderen Parteien sehr wenig zwischen dem Minimum und Maximum streute. Für die FDP lag stattdessen das Minimum bei 1,1 Prozent und das Maximum bei 11,6 Prozent; für B‘90/Grüne lagen die Ergebnisse zwischen 3,9 und 17,3 Prozent. Für die Linke lag das schlechteste Resultat bei 2,3 Prozent und ihr bestes bei 13,1 Prozent. Relativ zu diesen anderen kleinen Parteien konnte die AfD ihr Ergebnis recht stabil über Essen hinweg einfahren. Das ist umso erstaunlicher, als dass die Stadt Essen genauso wie die Stadt Duisburg durch starke sozioökonomische Unterschiede charakterisiert wird. Der Essener AfD-Wahlerfolg ergab sich also nicht durch einige wenige konzentrierte Hochburgen, sondern durch einen recht gleichmäßigen Erfolg über die Stadt hinweg.

Wie stieg und fiel die AfD-Popularität relativ zu den Bundestagsparteien in Essen? Hier zeigt sich ein relativ starker Zusammenhang zwischen den Stadtteilergebnissen für B‘90/Grüne und für die AfD. Je besser das Grünenergebnis in einem Stadtteil war, desto schlechter fiel im Schnitt das AfD-Ergebnis aus. In einem Stadtteil wie Rüttenscheid lag das Grünen-Ergebnis beispielsweise bei den erwähnten maximalen 17,3 Prozent und das AfD-Resultat unter 5 Prozent. Im Stadtteil Vogelheim lag das Grünen-Ergebnis bei unter 5 Prozent und das AfD-Ergebnis bei knapp unter 8 Prozent.

Abbildung 2: Streudiagramm von AfD und B‘90/Grünen-Stimmenanteilen bei der EP-Wahl 2014 in Essen

AFD_Korr

 

Auf der Suche nach Erklärungen für den AfD-Wahlerfolg schauen wir uns nun im Folgenden drei Erklärungen an, wobei uns die vorliegenden Daten unter Vorbehalt nur eine erste Antwort geben können.

  1. Die AfD zieht Stimmen von Wählern an, die in der scheinbar unwichtigeren EP-Wahl den Regierungsparteien einen Denkzettel verpassen wollen: die EP-Wahl wird in der Politikwissenschaft als Wahl zweiter Bedeutungsklasse (Second Order Election) gesehen. Um dem „Establishment“ einen Denkzettel zu verpassen (hier spielt auch die Idee der Protestpartei mit hinein), wählen Wähler die AfD. Somit müsste sie immer dann besser abschneiden, wenn die Regierungsparteien schlecht abschneiden bzw. wenn der Swing weg von den Regierungsparteien besonders groß ist.
  2. Die AfD zieht Stimmen von Wählern an, die sich durch das „Establishment“ nicht gut vertreten sehen und die Angst vor sozialem Abstieg haben: die AfD sollte demnach besser in den Stadtteilen abschneiden, die durch höhere Werte sozialer Deprivation (hohe Arbeitslosigkeit, hoher Anteil von Sozialhilfeempfängern) gekennzeichnet sind.
  3. Die AfD zieht rechtsextreme Wähler an: da die AfD in Teilen nationalistische Töne anschlägt, sollte sie in den Stadtteilen gut abschneiden, in denen traditionell rechte Parteien gut abschneiden oder in denen der Migrantenanteil der Bevölkerung hoch ist. Siehe dazu auch hier für eine Liste mit Zitaten der AfD sowie hier für eine Kontroverse zwischen der Bundeszentrale für politische Bildung und der AfD unter Rekurs auf meine Kollegen Frank Decker und Karl-Rudolf Korte.

Zur Untersuchung dieser Fragen analysiere ich die Daten mithilfe einer multiplen Regression. Ziel einer Regressionsanalyse ist es die „reinen“ Effekte von unabhängigen, also erklärenden, Variablen zu schätzen, wenn die Effekte der anderen unabhängigen Variablen herausgefiltert werden.

Mithilfe einer explorativen Technik (siehe Anmerkungen) wird das statistische Modell gefunden, das am besten zu den vorliegenden Daten mit sechs zur Verfügung stehenden unabhängigen Variablen passt, von denen jeweils zwei zu einer der drei Erklärungen passt

Erklärung 1: Anteil der Regierungsparteien bei der Bundestagswahl 2013, Unterschied in den Anteilen der Regierungsparteien zwischen Bundestagswahl 2013 und EP-Wahl 2014

Erklärung 2: Anteil der Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosenquote

Erklärung 3: Anteil der Menschen, die nicht nur einen deutschen Pass haben, Anteil der rechtsextremen Parteien NPD und Republikaner am Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2013.

Das relativ beste Modell kann 22,5 Prozent der Unterschiede im AfD Wahlerfolg erklären und enthält keine Variablen mehr zur Popularität der Regierungsparteien, die eine zu geringe Erklärungskraft aufwiesen. Für die Erklärung 1 gibt es keinerlei Evidenz in diesen Daten. Der Wahlerfolg der AfD folgte in Essen keinem Muster, das ein Abstrafen der Regierungsparteien erkennen lässt.

Sehr deutlich ist in dem finalen Modell der Effekt des Wahlerfolgs der rechten NPD und Republikaner. Für jeden Prozentpunkt, den die beiden rechten Parteien bei der Bundestagswahl 2013 in einem Stadtteil besser abschnitten, schätzt das Modell einen ganzen weiteren Prozentpunkt für die AfD bei der EP-Wahl 2014. In die erwartete Richtung, wenngleich sehr klein und undeutlich, ist der Effekt des Bevölkerungsanteils der Bewohner, die nicht nur einen deutschen Pass besaßen. Für jeden Prozentpunkt an Bevölkerung, die nicht nur einen deutschen Pass haben, steigt der prognostizierte AfD-Anteil um 0,06 Prozentpunkte. Mit anderen Worten: da wo rechte Parteien in der Vergangenheit gut abschnitten, schnitt die AfD in Essen auch gut ab.

Für den Anteil der Sozialhilfeempfänger ergibt sich wie erwartet ein positiver Effekt, der relativ deutlich ist: für jeden Prozentpunkt von Sozialhilfeempfängern an der Bevölkerung zwischen 16 und 64 steigt das AfD-Ergebnis laut Modell um 0,1 Prozentpunkte. Bei der Arbeitslosenquote ergibt sich ein unerwarteter Effekt: das prognostizierte AfD-Ergebnis ist nicht am geringsten bei ganz geringen Arbeitslosenquoten, sondern dort ist es am höchsten. Für jeden Prozentpunkt, den die Arbeitslosenquote höher ist, sinkt der prognostizierte Wert um einen halben Prozentpunkt. Die sozioökonomische Erklärung funktioniert also nur in Teilen und sollte gerade wegen der gegenläufigen Muster bei der Arbeitslosenquote kritisch gesehen werden.

Tabelle 1: Zusammenfassung der Ergebnisse

Variablen Evidenz
Erklärung 1 „Gegen die Regierung“ Regierungspopularität, Veränderung der Popularität relativ zur undestagswahl Nicht gefunden
Erklärung 2 „Sozioökonomie und Abstiegsangst“ Anteil Sozialhilfeempfänger, Arbeistlosenquote Gemischt, unerwarteter Effekt bei Arbeitslosenquote
Erklärung 3 „Rechtspopulismus“ Popularität der NPD und REP bei Bundestagswahl, Anteil Bewohner, die nicht nur einen deutschen Pass haben gefunden

Die stärkste Erklärung für die Unterschiede in den Wahlerfolgen der AfD in den Essener Stadtteilen kann in der rechtspopulistischen Perspektive gefunden werden. Da wo rechte Parteien traditionell gut abgeschnitten hatten, schnitt auch die AfD gut ab. Nichtsdestotrotz bleibt immer noch ein Großteil der Unterschiede zwischen den Essener Stadtteilen und erinnert uns daran, dass wir erst einen Teil des Wahlerfolgs der AfD erklären können.

 

Bemerkungen:

Die Daten wurden Achim Goerres von der Stadt Essen auf Nachfrage zur Verfügung gestellt.

Bei der explorativen Technik handelt es sich um eine Rückwärtige Selektion bei einer Serie von OLS-Regressionen. Dabei werden vom Maximalmodell ausgehend nach und nach unabhängige Variablen, deren Koeffizient einen p-Wert größer als 20 % hat, aus dem Modell genommen, und das neue Modell wieder geschätzt. Das Modell wird so lange reduziert, bis kein p-Wert eines Koeffizient mehr über 20 % liegt.

Karte: „Essen Stadtteile und Stadtbezirke“ von Markus Baumer – Basiert auf offiziellen Informationen der Stadt Essen.. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-de über Wikimedia Commons, – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Essen_Stadtteile_und_Stadtbezirke.svg#mediaviewer/Datei:Essen_Stadtteile_und_Stadtbezirke.svg

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