Von Matthias Dilling (University of Oxford)
Die CDU konnte nur verlieren, nachdem Guido Wolf, Julia Klöckner und Reiner Haseloff von der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin abgerückt waren. Im mutmaßlichen Kalkül, der rechten AfD die potenziellen Wähler zu nehmen, forderten die drei Spitzenkandidaten eine striktere Regulierung der Flüchtlingsströme. Seit Sonntagabend herrscht die Gewissheit: Dieser Schuss ging sprichwörtlich nach hinten los. Während sie die Abwanderung von Flüchtlingskritikern zur AfD nicht stoppen konnten, verprellte ihre Kritik an der Kanzlerin Teile der Stammwählerschaft der Union. Die Ergebnisse lesen sich wenig berauschend für die Christdemokraten: -12 Prozent in Baden-Württemberg, -3,4 Prozent in Rheinland-Pfalz und -2,7 Prozent in Sachsen-Anhalt und — im Gegensatz zur SPD — kein einziger überzeugender Wahlsieg. Der CDU haben Wolf, Klöckner und Haseloff zudem einen völlig unnötigen Zweifrontenkonflikt beschert. Soll dieser nicht so schmerzlich enden wie im Falle ihrer europäischen Schwesterparteien in Österreich und den Niederlanden, täte die CDU gut daran, sich auf ihren ursprünglichen christdemokratischen Markenkern zu besinnen.
Verluste an die AfD
Das schlechte Abschneiden allein den Spitzenkandidaten zuzuschreiben, wäre sicherlich zu einfach. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kämpften die Christdemokraten aus der Opposition heraus gegen sehr beliebte Amtsinhaber. Dazu kam die Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Profitiert hat davon in erster Linie die AfD, die, neben ehemaligen Nichtwählern, vor allem frühere CDU-Wähler für sich gewinnen konnte. Laut Infratest dimap war die CDU in allen drei Wahlen die im Landtag vertretene Partei, die am stärksten an die Rechtspopulisten verlor. 75 Prozent der Wähler, die in Baden-Württemberg von der CDU zur AfD abgewandert sind, gaben als entscheidendes Thema für ihren Wechsel die Flüchtlingskrise an. Dazu beklagten 32 Prozent der CDU-Wähler, Merkel hätte mit ihrer Flüchtlingspolitik einen großen Fehler gemacht. Vor diesem Hintergrund hätte man erwarten können, die Kritik der Spitzenkandidaten an der Kanzlerin würde auf fruchtbaren Boden fallen. So befürworteten auch 61 Prozent der in Sachsen-Anhalt befragten CDU-Wähler Reiner Haseloffs Kritik an Merkels Politik. Weitere Umfragedaten deuten jedoch auf ein fundamentales Dilemma hin, in das sich die Union in der Flüchtlingsfrage manövriert hat.
Die eigene Basis abgeschreckt
Der Versuch, mit der Merkel-Kritik den Aufstieg der AfD zu stoppen, scheiterte nicht nur, sondern hat der CDU sehr wahrscheinlich noch Stimmen bei ihrer eigentlichen Stammwählerschaft gekostet. Die CDU ist keine genuin konservative, sondern eine christdemokratische Partei. Als solche, auch in Zeiten nachlassender Kirchenbindnung, fühlen sich viele Unionswähler dem “C”, und wenn nur als reines Wertekonstrukt, weiterhin verbunden, was sich in einem hohen Anteil an kirchennahen Katholiken und Protestanten in der CDU-Wählerschaft widerspiegelt. Für diese Wähler spielen Werte wie Nächstenliebe und Solidarität eine wichtige Rolle. Es lässt sich vermuten, dass dies auch ihre Haltung zur Flüchtlingsfrage beeinflusst. Für sie war die Kritik an der Politik der Kanzlerin ein Affront, eine Untergrabung des christlichen Profils der CDU, mit dem sie sich in der Vergangenheit identifiziert haben. In seinem Buch Party Brands in Crisis nennt Noam Lupu, Assistant Professor an der University of Wisconsin-Madison, diese Auflösung des traditionellen Images einer Partei “brand dilution”. Eine solche Verwässerung des Parteiprofils muss einer Partei nicht unmittelbar schaden. Jedoch schwächt sie die Parteiidentifikation der Kernwählerschaft und reduziert dadurch den relativ stabilen Wählerpool, auf den sich die Partei in künftigen Wahlen verlassen kann. Dadurch wird eine Partei anfälliger für kurzfristige Faktoren, wie die Bewertung ihrer Regierungsarbeit, was widerum größere Schwankungen in ihren Wahlergebnissen bis hin zu hohen Verlusten wahrscheinlicher macht. Vor diesem Hintergrund war die Strategie von Wolf, Klöckner und Haseloff umso problematischer, da sie nicht auf weitreichende Zustimmung der CDU-Wähler traf. Zwischen 49 und 57 Prozent der Unionswähler in den drei Bundesländern, die am Sonntag gewählt haben, zeigten sich in einer Umfrage von Infratest dimap völlig mit Merkels Flüchtlingspolitik einverstanden. 29 Prozent in Rheinland-Pfalz und 48 Prozent in Baden-Württemberg gaben zudem an, dass sich Klöckner beziehungsweise Wolf unfair gegenüber Merkel verhalten hätte. Ganze 76 Prozent, wohl gemerkt der CDU-Wähler in Baden-Württemberg, begrüßten zudem, dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann die Kanzlerin so klar in der Flüchtlingspolitik unterstützt hat. So scheint es auch nicht verwunderlich, dass die baden-württembergische CDU am zweitstärksten an die Grünen verloren hat. Mit ihrer Strategie hat die Union folglich doppelt verloren: Weder konnten die Merkel-Kritiker gehalten, noch die eigene Stammwählerschaft mobilisiert werden.
Flüchtlingskrise als Chance der Profilstärkung
Angesichts von Verlusten nach rechts und links stellt sich eine strategische Frage, die weit über die beiden Bundesländer hinaus Konsequenzen hat: Quo vadis, CDU? Sicherlich, das Abschneiden der AfD darf nicht künstlich hochgespielt werden. Die Partei ist nach wie vor nicht fest im Parteiensystem verankert und das Schicksal der Piraten hat gezeigt, wie schnell der Stern einer Partei auch wieder sinken kann. Dazu kommen Flügelkämpfe zwischen Rechten und Rechtsextremen in der AfD, die eine weitere Spaltung der Partei nicht unmöglich erscheinen lassen. Letztlich darf auch der Protestwahlfaktor nicht unterschätzt werden. Jedoch scheint der Anlass dieses Protestes, die Flüchtlingskrise und die ihr zugrunde liegenden Konflikte im Nahen Osten, und damit wohl auch die AfD in unmittelbarer Zukunft nicht zu verschwinden. Die CDU wird demnach nicht um eine Richtungsentscheidung herum kommen: Soll sie nach rechts rücken und die Positionen der AfD (teilweise) übernehmen oder Merkels eingeschlagenen Kurs konsequent weitergehen?
Während die Situation, zumindest in diesem Ausmaß, für die deutsche Christdemokratie neu ist, lassen sich aus den Erfahrungen der europäischen Schwesterparteien der CDU einige Schlüsse ziehen. Angesichts des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien in Österreich und den Niederlanden standen die dortigen Christdemokraten vor der gleichen Entscheidung: Nach rechts gehen oder in der Mitte bleiben? Noam Gidron, Doktorand an der Harvard University, ist dieser Frage in seiner jüngsten Forschung nachgegangen. Seiner Analyse zufolge wäre die Union schlecht beraten, sich auf den Tanz mit den Rechten einzulassen. Während diese Strategie zwar kurzfristig einen Zuwachs an Stimmen in bestimmten Wählergruppen bringen könnte, wiegen diese Gewinne nicht die Verluste auf, welche die Abwanderung besser gebildeter Wähler der Mittelschicht mit sich bringen würde. Zwar profitierten sowohl die österreichische ÖVP als auch der niederländische CDA kurzfristig von ihrer Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten, doch fiel ihr Stimmenanteil von zwischenzeitlich 42,3 Prozent (ÖVP, 2003) und 28,6 Prozent (CDA, 2003) auf knapp 24 und 8,5 Prozent in den letzten Wahlen. Die rechtspopulistische FPÖ und PVV gewannen hingegen und etablierten sich als feste Größe im Parteiensystem. Es scheint demnach strategisch wenig attraktiv für die Union, sich den Positionen der AfD anzunähern.
Stattdessen sollte die CDU die Flüchtlingsdebatte als Chance zur eigenen Profilschärfung nutzen. Nach Jahren der (teils überzogenen) Kritik an der Sozialdemokratisierung der Union täte die CDU gut daran, sich geschlossen hinter Merkel zu stellen. Eine mitfühlende, verantwortungsbewusste und nächstenliebende Flüchtlingspolitik würde zum christdemokratischen Markenkern passen und der Partei wieder eine klarere inhaltliche Ausrichtung geben, die über die Amtszeit Merkels hinweg Bestand haben könnte.
Matthias Dilling promoviert zur Anpassungsfähigkeit christdemokratischer Parteien an der University of Oxford.