Die AfD bei der Bundestagswahl 2013 – Welche Faktoren beeinflussten das Wahlergebnis?

von Tobias Frank

Wie lässt sich der Wahlerfolg der AfD bei der letzten Bundestagswahl erklären? Tobias Frank betrachtet in seinem Blogbeitrag verschiedene theoretische Erklärungsmuster und zieht daraus Schlüsse, welches Modell die höchste Erklärungskraft aufweist.

Der Beitrag basiert auf der MA-Arbeit des Autors, die am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft durch Achim Goerres und Florian Rabuza betreut worden ist. Die Arbeit wurde mit dem Institutspreis 2015 ausgezeichnet.

AfD-Zweitstimmen 2013Abb. 1: Verteilung der Zweitstimmenanteile der AfD bei der Bundestagswahl 2013

Bei der letzten Bundestagswahl zeigte sich das deutsche Parteiensystem durchaus lebendig. Neben dem beinahe sensationellen Scheitern der FDP an der 5%-Sperrklausel und dem damit einhergehenden Verlust des Regierungsauftrags, erhielt die Alternative für Deutschland (AfD) nach nur sechsmonatiger Gründungsphase auf Anhieb 4,7% der Stimmen und scheiterte damit nur knapp an einer parlamentarischen Repräsentation.In meiner Masterarbeit habe ich nun den Wahlerfolg der Partei anhand sozialstruktureller sowie sozioökonomischer Determinanten auf Ebene der Wahlkreise zu erklären versucht. Dafür habe ich Theorien der Wahlverhaltensforschung aufgegriffen und sie für die quantitative empirische Analyse operationalisiert. Sozioökonomische Determinanten stellen hier Variablen dar, die die soziale und ökonomische Struktur eines Wahlkreises beschreiben und sich üblicherweise auf Statistiken gründen, die Auskunft über formale Bildung und Schulabschluss, Ausbildung und Studium, Beruf und Einkommen, den Wohnort und Eigentumsverhältnisse sowie Liquidität und Kreditwürdigkeit geben. Mit der Sozialstruktur ist in dieser Analyse eine sozialstatistische Definition gemeint, wonach Alter, Bildung, Einkommen etc. unter diesen Begriff fallen.

Als Elitenpartei gegründet übt die AfD eine generelle Kritik an der Regierung und bestehenden politischen Parteien. Ihr Hauptanliegen besteht in der Korrektur der Euro-Politik der Bundesregierung, der stärkeren Durchsetzung nationaler Interessen sowie starker Solidarität zu Bürgern deutscher Herkunft. Bei öffentlichen Auftritten der (teilweise ehemaligen) Führungsriege um Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam sowie auf Wahlkampfplakaten setzt die AfD auf rechtspopulistische Äußerungen, die sie von bestehenden Parteien abgrenzen sollen. Dabei ist Rechtspopulismus als eine Mobilisierungsstrategie zu verstehen, in deren Zentrum es steht, Stimmungen gegenüber Schwächeren zu erzeugen, um dann über erzielte Wahlerfolge mittels demokratisch erworbener Macht die Gesellschaft autoritär umzubauen. Auch die Presse und die Öffentlichkeit haben die AfD schnell als rechtspopulistische Protestpartei charakterisiert. Die analytische Kategorie des Rechtspopulismus weist, zusätzlich zum Begriffskern, Ideologie- und Richtungsmerkmale auf, die die nötige Präzision für eine wissenschaftliche Diskussion aufbringt, so dass in diesem Fall eine Kategorisierung der AfD möglich wird. Die Partei konnte daher in der weiteren Analyse als rechtspopulistisch behandelt und wichtige Erkenntnisse aus der Forschung zum Erfolg rechter sowie rechtspopulistischer Parteien aufgegriffen werden. Außerdem können die Erfolge der neuen rechtspopulistischen Parteien auch als Ausdruck einer tief verankerten Bewusstseinskrise von Teilen der Bevölkerung beschrieben werden. Verbunden damit ist ein fehlendes Vertrauen in die Fähigkeit demokratischer Politik, die Wähler wirklich zu repräsentieren. Dazu stellen sich zudem Gefühle der Überforderung ein, die mit der Sehnsucht nach bekannten abendländischen Wert- und Normvorstellungen einhergehen. Rechtspopulismus kann daher in erster Linie als ein Protestphänomen und als Antwort auf Individualisierung verstanden werden, die mit Modernisierungsprozessen einher geht.

Im Gegensatz zu den europäischen Nachbarländern konnte in Deutschland keine
rechtspopulistische Partei von den gerade beschriebenen Entwicklungen profitieren.
Populistische Parteien sind hier später entstanden und sie konnten keine nennenswerten
Erfolge auf Bundesebene feiern, sondern beschränkten sich bisher auf die Landes- und
Kommunalebene. Dies änderte sich jedoch mit der Bundestagswahl 2013 als die AfD nur
knapp den Einzug in den Bundestag verpasste.

Die fortschreitende internationale Integration der europäischen Gesellschaften und
Wirtschaft, Entwicklungen im Zuge der Post-Industrialisierung und das Erstarken postmaterialistischer Werte und Policy-Orientierungen verliefen dabei parallel zum
aufkommenden Erfolg dieser Parteien. Viele Forscher betonen, dass die neuen
rechtspopulistischen Parteien Europas, ähnlich wie die alten Parteien des rechten politischen Flügels, Unterstützung von Gruppen erhalten, die als Verlierer aus
Modernisierungsprozessen hervorgehen. Hradil beschreibt diesen Prozess mit dem Begriff
des „sozialen Wandels“. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der der Makroebene, auf der
bestimmte Determinanten hinsichtlich potentieller Effekte auf das Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2013, untersucht werden sollten. Es herrscht dabei wissenschaftlicher Konsens im Feld der Wahlanalyse, dass ein Zusammenhang zwischen dem Wählerverhalten eines Gebietes und der dort anzutreffenden Sozialstruktur vorhanden ist. Neue Forschungen haben gezeigt, dass diese Annahme noch immer Aktualität aufweist.

Aus der einschlägigen Literatur lassen sich vier theoretische Perspektiven ableiten, mit Hilfe derer überprüfbare Hypothesen generiert werden konnten: der sozialstrukturelle Ansatz beruhend auf Ausführungen von Lazarsfeld et. al. sowie Lipset/Rokkan, der Schichtenansatz nach Lipset, die ökonomische Theorie nach Downs sowie der Ansatz der
Modernisierungsverlierer. Anhand dieser Hypothesen wurde eine empirische Überprüfung der sozioökonomischen und sozialstrukturellen Variablen mittels multivariater OLSRegressionen ermöglicht. Beim Vergleich der Modelle, in denen die Perspektiven einzeln und in Kombinationen getestet wurden, zeigte das Modell, das nur die Perspektive des sozialstrukturelle Ansatzes enthält, die stärkste Performanz.

Aktuelle empirische Analysen der Wahlforschung haben den Wahlerfolg der AfD bisher versucht mit Individualdaten zu erklären. So können zwar individuelle Faktoren, die die Wahlentscheidung beeinflussen, analysiert werden, sozialstrukturelle Determinanten größerer Analyseeinheiten werden dabei aber nicht oder nur am Rande in Betracht gezogen. Diese Lücke versucht diese Arbeit zu schließen. Sie wählt den Zugang zum Untersuchungsobjekt auf der Analyseeinheit der Wahlkreise und gründet die Regressionsanalyse auf Aggregatdaten. Der verwendete Datensatz misst das tatsächliche Wahlergebnis der AfD, beinhaltet offizielle sozialstrukturelle sowie sozioökonomische Statistiken und weitere relevante Wahlergebnisse. Ökologische Analysen sind in der Reichweite ihrer Erklärungen zwar eingeschränkt und eignen sich nicht primär um Ursache-Wirkungszusammenhänge zu bestimmen, wohl aber um zu generalisierbaren Aussagen zu gelangen. So konnten Zusammenhänge zwischen unabhängigen sozialstrukturellen Variablen und der offiziellen Stimmenverteilung erklärt werden.
In der empirischen Überprüfung der theoretischen Perspektiven konnte schließlich gezeigt werden, dass je höher der Anteil an Ausländern in einem Wahlkreis ist und je höher dort der Anteil der Stimmen der NPD und Republikaner bei den Bundestagswahlen 2005 war und je höher der Anteil an Absolventen mit einem Hauptschulabschluss in einem Wahlkreis ist, desto besser hat die AfD in diesem Wahlkreis abgeschnitten. Der objektive demographische Kontext eines Wahlkreises beeinflusst das Wahlergebnis der AfD. Die „politisierte Sozialstruktur“ (Pappi 1986) wirkt nach wie vor fort, wie besonders eindrucksvoll der Effekt der Variablen des zusammengefassten Wahlergebnisses von NPD und Republikanern bei der Bundestagswahl 2005 bewiesen hat. Hier zeigt sich, dass die ideologische Verortung der AfD im Rechtspopulismus sich auch in den Wählerstrukturen niederschlägt. Die Diffamierung und Diskreditierung Asylsuchender durch die AfD und das Schüren von Verlustängsten, haben in Wahlkreisen, in denen viele Ausländer leben und in denen die NPD & die Republikaner vormals erfolgreich waren, vordergründig Resonanz gefunden. Dass der Anteil von Personen mit Hauptschulabschluss zusätzlich einen signifikanten Effekt auf das Wahlergebnis hat, bestätigt die Annahme, dass ein geringer Bildungsstand positive Einstellungen gegenüber rechtspopulistischen Parteien begünstigt.
Die AfD ist eine Partei, die im Parteienspektrum und politisch-ideologisch rechts der CDU/CSU einzuordnen ist und mit ihrer rechtspopulistischen Agenda besonders dort erfolgreich war, wo auch schon die NPD und die Republikaner erfolgreich waren. Außerdem wird ihr Wahlergebnis vom steigenden Ausländeranteil und vom Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss begünstigt. Ihr Wahlerfolg lässt sich mit dem sozialstrukturellen Ansatz theoretisch erklären und empirisch beweisen.

 

Verwendete Literatur:

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Decker, Frank (2004): Der neue Rechtspopulismus. 2. überarbeitete Auflage. Opladen: Leske + Budrich.

Decker, Frank; Hartleb, Florian (2007): Populism on Difficult Terrain: The Right- and Left-Wing Challenger Parties in the Federal Republic of Germany. In: German Politics 16 (4), S. 434–454.

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Kitschelt, Herbert (1995): The radical right in Western Europe. A comparative analysis. Ann Arbor: Univ. of Michigan Press.

Korte, Karl-Rudolf (2015): Die Bundestagswahl 2013 – ein halber Machtwechsel. Problemstellungen der Wahl-, Parteien- Kommunikations und Regierungsforschung. In:Karl-Rudolf Korte (Hg.): Die Bundestagswahl 2013. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 9–30.

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Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernard; Gaudet, Hazel (1944): The people’s choice. How the voter makes up his mind in a presidential campaign. New York: Duelle Sloan and Pearce.

Lipset, Seymour Martin (1962): Soziologie der Demokratie. (Neuwied/Rhein): Hermann Luchterhand (Soziologische Texte. Bd. 12).

Lipset, Seymour Martin; Rokkan, Stein (Hg.) (1967):Party systems and voter alignments: cross-national perspectives. [Contributors: Robert R. Alford and others]. New York: Free Press (International yearbook of political behavior research, v. 7).

Pappi, Franz Urban; Brandenburg (2010): Sozialstrukturelle Interessenlagen und Parteipräferenz in Deutschland. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 62 (3), S. 459–483.

Schaefer, Dagmar; Mansel, Jürgen; Heitmeyer, Wilhelm (2002-): Rechtspopulistisches Potential. Die “saubere Mitte” als Problem. In: Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2290, 2332, 2388, 2454, 2484, 2525, 2552), S. 123–135.

Spier, Tim (2010): Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage, Wiesbaden.

Troitzsch, Klaus G. (1976): Sozialstruktur und Wählerverhalten. Möglichkeiten und Grenzen ökologischer Wahlanalyse, dargestellt am Beispiel der Wahlen in Hamburg von 1949 – 1974. Meisenheim am Glan: Hain (Studien zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 17).

 

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