„Was hat dich hier her gebracht?“ Warum dennoch junge Parteimitglieder in Parteien eintreten, die Mitglieder verlieren

von Regina Weber

Die Mitgliedschaft in politischen Parteien ist in den vergangenen 30 Jahren in fast allen westlichen Ländern stark zurückgegangen. Das hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass das „Ende der Parteien“ prophezeit wurde. Allerdings zeigt ein tieferer Blick auf die Mitglieder der Parteien, dass diese Schrumpfung nicht in jeder Hinsicht eine negative Entwicklung ist: Die Unterschiede zwischen den Parteimitgliedern und der Gesamtbevölkerung im Hinblick auf ihr Geschlecht, ihre Religiosität oder ihre Mitgliedschaft in Gewerkschaften sind in dem gleichen Zeitraum gesunken – man kann sagen, die Parteien sind im Hinblick auf die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung repräsentativer geworden. Eine wichtige Ausnahme gibt es allerdings von dieser Entwicklung: das Alter der Parteimitglieder. Die Parteimitglieder sind heute im Durchschnitt deutlich älter als sie es in den vergangenen 30 Jahren waren.

Diese Entwicklung wirft die Frage auf, was die wenigen verbliebenen jungen Menschen dazu bewegt, den Weg in eine Organisation zu suchen, in der sie mehrheitlich mit Menschen zusammen sind, die bereits nahe am Rentenalter oder schon darüber sind. Der individuelle Grund eines Mitglieds, seine Unterschrift unter den Mitgliedschaftsantrag einer Partei zu setzen, mag unterschiedlich sein. Einige generelle Trends lassen sich jedoch erkennen. Es ist seit einiger Zeit bekannt, dass sich soziale Bindungen, die früher zum Parteibeitritt geführt haben, langsam auflösen: Die impliziten und expliziten Verbindungen zwischen Gewerkschaften und den sozialdemokratischen bzw. Arbeiterparteien werden schwächer, gleiches gilt für die lange Zeit existierenden politischen Allianzen zwischen Kirchen und christlich-konservative Parteien. Stattdessen werden individuelle Motive der Einzelnen und der Wunsch wichtiger, politisch etwas bewegen zu können. Junge Parteimitglieder unterscheiden sich nicht besonders von den älteren, wenn es um das Ziel ihrer Mitgliedschaft geht: Sie wollen politische Inhalte, Prozesse und Ämterbesetzung beeinflussen, sind von den Zielen ihrer Partei überzeugt und suchen Gleichgesinnte. Diejenigen jungen Menschen, die vor allem ein Instrument für die eigene politische Karriere suchen, sind dabei in der Minderheit, nur rund ein Viertel von befragten jungen Parteimitgliedern in Europa suchen in erster Linie individuelle Vorteile auf ihrem weiteren beruflichen Karriereweg. Für die meisten stehen ideologische Interessen und die Zusammenarbeit mit anderen im Vordergrund.

Obwohl wir einiges über die Beitrittsmotive junger Parteimitglieder wissen, ist weitgehend unbekannt, was danach im Laufe der Parteimitgliedschaft passiert. Von mir geführte qualitative Interviews geben Aufschluss über die Beweggründe der jungen Leute, sich in Parteien zu engagieren, und ihre Erlebnisse in der Partei: Aufgrund der beschriebenen Altersstruktur erleben gerade junge Parteimitglieder Frustrationen im Partei-Alltag. Gefühlt endlose Gremiensitzungen und das Gefühl, von den älteren Mitgliedern nicht ernst genommen zu werden tragen dazu bei. Vor allem das Gefühl, alleine unter Älteren zu sein, die Posten und Ämter bereits verteilt haben, führt zu Demotivation. Die jungen Menschen sprechen zwar viel von in der Partei erlebter Frustration, allerdings sehen sie in Parteien oft einen guten Weg, um Politik wirklich beeinflussen zu können. Sie können dabei jedoch gut unterscheiden zwischen tatsächlichem Einfluss und der zufälligen Unterstützung, die sie erhalten, wenn für Kandidatenlisten ein „junges Gesicht“ zur Abwechslung gesucht wird. Motivation für den Verbleib in der Partei entsteht dabei vor allem durch das Gefühl, tatsächlich Einfluss auf die Entscheidungen der Partei zu haben.

Für die Parteien ergibt sich daraus, dass eine rein formale Beteiligung von jungen Leuten nicht ausreicht, um sie als Parteimitglieder zu gewinnen und zu behalten. Einfluss auf Entscheidungsfindungen ist für junge Mitglieder wichtig. Insbesondere aber ist es wichtig, dass die jungen Mitglieder das Gefühl haben, von ihren älteren Parteikollegen ernst genommen zu werden. Das kann einen Beitrag dazu leisten, junge Mitglieder zu gewinnen und diese auch mittel- und langfristig an Entscheidungen und in Ämtern aktiv zu beteiligen.

Verwendete Quellen

Bruter, Michael, and Sarah Harrison. 2009. The Future of Our Democracies: Young Party Members in Europe. Palgrave Macmillan.

Hooghe, Marc, and Dietlind Stolle. 2003. “Age Matters. Life-cycle and Cohort Differences in the Socialisation Effect of Voluntary Participation.” European Political Science 3(2): 49–56.

Hooghe, Marc, Dietlind Stolle, and Patrick Stouthuysen. 2004. “Head Start in Politics.” Party Politics 10(2): 193 –212.

Jungblut, Jens / Weber, Regina (2013): “Mein Lieblingsverein ist die SPD…”. Motivation und Frustration junger Sozialdemokraten zwischen SPD und  Jusos. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Parteien- und Wahlforschung.

Scarrow, Susan E., and Burcu Gezgor. 2010. “Declining Memberships, Changing Members? European Political Party Members in a New Era.” Party Politics 16(6): 823 –843.

Weber, Regina (o.D.): Motives and Activity of Young Party Members, Dissertationsprojekt, Universität Duisburg-Essen.

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