Diskriminierung im Bundestag? Eine Untersuchung mittels eines Feldexperiments

Von Jakob Kemper

Jakob Kemper absolvierte sein Bachelorstudium in Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Seine Abschlussarbeit schrieb er am Lehrstuhl für Empirische Politikwissenschaft bei Prof. Dr. Achim Goerres. In diesem Blogbeitrag diskutiert er die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit. Diese wurde Open-Access unter einer Creative-Commons-Lizenz online veröffentlicht.

Der Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beinhaltet – unter anderem – den Passus, niemand dürfe wegen „seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft … benachteiligt oder bevorzugt werden“. Diesem Grundsatz entsprechend sollten der Staat und seine Vertreter keine Unterschiede in der Behandlung von Menschen machen, ob diese nun einen Migrationshintergrund haben oder nicht.

In verschiedenen Studien konnte allerdings bereits gezeigt werden, dass sich dieses Ziel nicht immer vollumfänglich realisiert. So weisen etwa Hemker & Rink (2017) für Anfragen an Jobcenter nach, dass zwar die Antwortquoten für deutsche und ausländische Nachnamen annähernd identisch sind, die Qualität der Antwort für Anfragen mit ausländischem Nachnamen aber signifikant geringer ist. Angesichts solcher Befunde stellt sich die Frage, ob eine Ungleichbehandlung auch bei politischen Entscheidungsträgern nachgewiesen werden kann.

Um dies zu untersuchen verschickte ich im Rahmen eines Feldexperiments Anfragen an die Büros aller Bundestagsabgeordneten. Eine Hälfte der Anfragen war unterzeichnet von Paul Schmidt, die andere von Murat Yilmaz, womit ich den Migrationshintergrund des Anfragestellers manipulierte. Des Weiteren wurden diese Gruppen noch einmal geteilt in jene, die die Anfrage per Brief und jene, die die Anfrage per E-Mail stellten. Von beiden unabhängigen Variablen (Migrationshintergrund und Versandart) nahm ich an, dass sie einen Einfluss auf das Antwortverhalten haben würden.

Ich vermutete aufgrund der bekannten Benachteiligung von Migranten und deren Nachkommen, dass ein Migrationshintergrund des Anfragestellers die Antwortqualität verschlechtern würde. Für die Versandart hatte ich die Vermutung, dass der Migrationshintergrund einen größeren negativen Einfluss auf die Antwortqualität haben sollte, wenn die Anfrage per Brief statt per E-Mail versandt wurde. Dies ist recht schlüssig: Wenn etwa Mitarbeiter der Abgeordneten Vorurteile hätten, dann sollten diese bei größerem Aufwand für die Beantwortung der Anfrage stärker zum Tragen kommen.
Das Antwortverhalten als zu erklärendes Phänomen betrachtete ich auf drei unterschiedliche Arten, um das theoretische Konstrukt, „Qualität der Antwort“, möglichst gut messen. Zum einen erfasste ich, ob überhaupt eine Antwort auf die Anfrage erhalten wurde, zum anderen die Dauer, bis eine Antwort erhalten wurde, und schließlich die Länge der Antwort in Buchstaben.

Die Daten zeigen, dass Bürger mit Migrationshintergrund seltener eine Antwort erhielten und diese Antwort im Schnitt kürzer ausfiel. In Tabelle 1 sind die Antwortquoten nach dem Migrationshintergrund und nach Parteien abgetragen. Sofort fällt die Differenz um mehr als 20 Prozentpunkte bei der AfD auf, allerdings werden auch bei den anderen Parteien (mit Ausnahme der Grünen) die Anfragen von Personen mit Migrationshintergrund seltener beantwortet. Die Prozentwerte der einzelnen Fraktionen sind jedoch mit gewisser Vorsicht zu interpretieren, weil die Unterschiede zumindest zum Teil auf Zufallsschwankungen beruhen können und es in der Fraktion der Linkspartei zu einer Entdeckung der fiktiven Natur der Anfragen kam, was das allgemein niedrige Niveau der Antworten dieser Fraktion erklären könnte.

Antwortquoten

Die von mir erhobenen Daten wurden schließlich dazu verwendet, multiple Regressionsmodelle für die Antwortwahrscheinlichkeit, die Dauer bis zur Antwort und die Länge dieser zu schätzen. Die logistischen Regressionsmodelle, welche die Wahrscheinlichkeit des Erhalts einer Antwort schätzen, sind in Tabelle 2 dargestellt.

Regressionen

Das erste Modell zeigt, was anhand von Tabelle 1 schon vermutet werden konnte: Nicht nur erhalten Anfragesteller mit Migrationshintergrund im Schnitt seltener eine Antwort, es ist darüber hinaus auch sehr unwahrscheinlich, dass es sich um einen zufälligen Effekt handelt [1] . Dies konnte ich ebenso für die Länge der Antwort nachweisen: Ein Anfragesteller mit Migrationshintergrund erhielt eine kürzere Antwort.

Neben dieser zentralen Erkenntnis konnte ich noch weitere Schlüsse aus den von mir generierten Daten ziehen. So fand meine Annahme, dass der Migrationshintergrund einen größeren negativen Einfluss auf die Antwortqualität haben sollte, wenn die Anfrage per Brief statt per E-Mail versandt wurde, keine Bestätigung (Modell 2).

Auch einige weitere Vermutungen konnten anhand der Daten widerlegt werden: So zeigte sich, dass der Unterschied in der Antwortquote zwischen autochthonen Deutschen und solchen mit Migrationshintergrund nicht von den Eigenschaften des Abgeordneten abhing: Die Jahre, die ein Abgeordneter Mitglied des Bundestags war (Modell 6) und das Geschlecht des Abgeordneten (Modell 5) hatten keinen Einfluss auf die Größe dieser Differenz.

Bemerkenswert war hingegen, dass Bundestagsabgeordnete, die selbst einen Migrationshintergrund hatten, den Anfragestellern mit Migrationshintergrund häufiger als jenen ohne Migrationshintergrund antworteten (Modell 4). Allerdings kann der Test hier in zwei Richtungen interpretiert werden: Obige Interpretation und die Interpretation, dass Abgeordnete ohne Migrationshintergrund den Anfragestellern ohne Migrationshintergrund häufiger antworteten, sind gleichermaßen gültig. Außerdem ließ sich kein Effekt für die Dauer bis zur Antwort und die Länge der Antwort nachweisen.
Über die Zusammenhänge zwischen Migrationshintergrund des Anfragestellers und Antwortwahrscheinlichkeit hinaus, können anhand von Modell 3 Aussagen darüber getroffen werden, welche weiteren Merkmale einen Einfluss auf die Antwortwahrscheinlichkeit haben. So senkte der Versand der Anfrage per Brief die Antwortwahrscheinlichkeit deutlich. Auch antworteten Abgeordnete, die selbst einen Migrationshintergrund hatten, signifikant seltener als Abgeordnete ohne diesen. Einen positiven Effekt auf die Antwortwahrscheinlichkeit hatten hingegen die Jahre, die ein Abgeordneter Mitglied des Deutschen Bundestags war. Außerdem stieg die Antwortwahrscheinlichkeit, je positiver die Partei des Abgeordneten Immigration gegenüber eingestellt war.

Die Ergebnisse meiner Bachelorarbeit geben Grund zur Besorgnis: Der Zugang zu Abgeordneten ist für Deutsche mit Migrationshintergrund schwerer als für Deutsche ohne Migrationshintergrund. Dieser Effekt ist umso stärker, je negativer die Partei des Abgeordneten Immigration betrachtet. Diesem Muster folgend werden Deutsche mit Migrationshintergrund von Abgeordneten der AfD-Fraktion am stärksten benachteiligt. Anhand dieser Ergebnisse kann ernsthaft infrage gestellt werden, ob sich alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags an das ausdrückliche Diskriminierungsverbot im Grundgesetz halten.

Einen möglichen Weg aus dieser Problematik hinaus zeigt die Studie auch auf: Abgeordnete, die selbst einen Migrationshintergrund haben, antworteten Deutschen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger. In diesem Sinne kann deskriptive Repräsentation, also eine Kongruenz der Eigenschaften von Wählerinnen und Wählern mit denen der Abgeordneten, möglicherweise dazu beitragen, dass die Lücke in der Responsivität kleiner wird. Hierzu müsste das Parlament allerdings diverser werden.

[1] Erkennbar wird dies daran, dass das Vorzeichen für den Koeffizienten des Migrationshintergrundes des Anfragestellers in Modell 1 negativ ist und der p-Wert kleiner als 0,05 ist, wenn man ihn durch 2 teilt. Das ist hier zulässig, da man nur einen einseitigen Hypothesentest durchführt.

Literatur

Hemker, J., & Rink, A. (2017). Multiple Dimensions of Bureaucratic Discrimination: Evidence from German Welfare Offices. American Journal of Political Science, 61(4), 786–803. https://doi.org/10.1111/ajps.12312

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4 Antworten zu Diskriminierung im Bundestag? Eine Untersuchung mittels eines Feldexperiments

  1. Hammacher sagt:

    Ich frage mich, ob Zufälle oder terminliche Gründe Abgeordnete davon abgehalten haben könnten auf die Anfrage zu antworten. Außerdem würde mich das allgemeine Antwortverhalten der Abgeordneten interessieren. Gründe für keine Antwort könnten hier Abwesenheit, Krankheit etc. sein. Dies ist nur eine kurze Zusammenfassung meiner Bedenken. Ich glaube nämlich nicht, dass Mitglieder des Bundestages fremdenfeindlich sind

    • Deno sagt:

      Toll. Es möchte dich natürlich keiner von deinem Glauben abbringen.
      Wieso soll ein Experiment auch aussagekräftiger sein.
      Wir sollten von nun an nur noch nach dem handeln was du so glaubst.

      • Tobias sagt:

        Seine Bedenken sind allerdings im Zweifel ja nicht zwingend absurd, sondern im Gegenteil tatsächlich streckenweise ja durchaus plausibel. Das Experiment insgesamt ist schon recht aussagekräftig und deckt sich ja auch tatsächlich mit dem, was tagtäglich durchaus erlebbar ist. Noch einen Ticken aussagekräftiger wäre es allerdings eben in der Tat, wenn Faktoren wie Abwesenheit, Krankheit, Urlaub und auch schlicht Workload der jeweiligen Abgeordneten ebenfalls miteinbezogen gewesen wären. Das wiederum wäre allerdings ganz klar eine beinahe schon absurd anmutende Detailtiefe, die so vermutlich auch nur mit albernem Aufwand machbar wäre.

  2. Steve sagt:

    Ich habe vor längerer Zeit als Fraktionsmitarbeiter einer kleineren Landtagsfraktion gearbeitet und in dem Job reichlich unbezahlte Überstunden gemacht, um möglichst viele Zuschriften von Bürger*innen zu beantworten. Mehr als 50-60 % der Zuschriften zu beantworten war aber nach meiner Erinnerung nie drin. Auch weil es recht viele Vielschreiber gibt, die auf jede Antwort sofort mit weiteren Fragen oder Anmerkungen reagieren. Offizielle Kriterien dafür, welche Post beantwortet wird, gab es nicht, aber natürlich bilden sich Routinen heraus. Ich erinnere mich daran, dass Post von Vielschreibern lange liegen blieb, bis sie eine Antwort bekamen und die Antwort dann so knapp wie möglich war. Das wird in dieser Studie keine Rolle spielen. Aber es spielte auch eine Rolle, ob der Inhalt der Zuschrift auf Sympathie für die eigene Partei schliessen liess. Potentielle Sympathisanten bekamen immer Antwort. Leider geht dieser Beitrag nicht auf den Inhalt der Zuschriften und die Nähe des Themas zu den jeweiligen Parteien ein, das könnte eine Rolle spielen.

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