Zoff im Schwarm – Anmerkungen zur NSA-Affäre

Im Schwarm „Menschheit“ gibt es drei Verhaltensmuster, die zusammen gehören:

In Maßen praktiziert kommt der Schwarm damit zurecht.

Doch jetzt scheint die Sache aus den Fugen zu geraten: Staatliche Stellen aller Länder spionieren in dem Bestreben das Böse zu bekämpfen alle elektronischen Kommunikationswege aus und haben dabei jegliches Maß verloren. Und sie fühlen sich dabei ertappt: Das Geheimnis der Geheimniserspähungsmaßnahmen wurde verraten. So könnte man die aktuelle Situation beschreiben. Wer sind jetzt die Bösen im Schwarm? Die Bösen die man mit Überwachung zur Strecke bringen will, die Bösen, die eine Überwachungsinfrastruktur aufgebaut haben oder die Bösen, die diesen Vorgang öffentlich bekannt gemacht haben.

Rollen wir das Thema einmal von vorne auf: Ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung eines Kindes ist seine Erkenntnis, dass es Geheimnisse haben kann. Einschränkend steht dem aber die Drohung entgegen, dass im Himmel jemand ist, der alles sieht und in ein Buch der Taten und Missetaten einträgt. Für das hiesige Leben scheint es aber keine Relevanz zu haben, weil niemand auf Erden Einblick in dieses Buch bekommen wird. Auf der Erde selbst läuft es aber anders. Bekommt jemand ein Geheimnis heraus, wird es gnadenlos verpetzt. Mit dieser Realität lernt das Kind sich zu arrangieren.

Auch die Menschheit insgesamt hat gelernt damit umzugehen. Alle drei Verhalten (Geheimhalten, Ausspähen und Ausplaudern) regulieren sich gegenseitig. Die Frage nach „Gut“ oder „Böse“ kann dabei nicht absolut beantwortet werden. Je nach Situation kann Geheimhalten, Ausspähen oder Ausplaudern geächtet sein, oder begrüßt werden. Oft wird sogar eine Situation von manchen als abscheuliches und niederträchtiges Verhalten gegeißelt, während andere die gleiche Tat als heroisch und edel bewerten.

Jetzt auf einmal scheint dieser uralte Gesellschaftskonflikt unbeherrschbar zu werden. Das Informationszeitalter scheint unsere Gesellschaft gegen die Wand zu fahren. Schauen wir uns die Entwicklung des Informationszeitalters nochmal in Stichpunkten an

Jetzt befinden wir uns am Beginn einer neuen Phase, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Speichern und Analysieren sehr großer Datenmengen immer effizienter wird. „Big-Data“ heißt das Stichwort und dahinter steckt im übertragenen Sinn die Frage: „Wie sucht man Nadeln in Heuhaufen?“. (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Data) In vielen Bereichen hat der Big-Data-Hype zu einer Goldgräberstimmung geführt.

Zunächst sind da die Konzerne, die in dem gläsernen Kunden Ihren finanziellen Erfolg sehen. Firmen wie Google, Facebook, Amazon, Apple und Microsoft haben Geschäftsmodelle entwickelt, um die Internetnutzung über Ihre Portale zu kanalisieren und so an Informationen über Personen zu gelangen, die sich dann vermarkten lassen. Jeder unserer Klicks im Internet wird heute registriert und analysiert und hinterläßt eine auf unsere Computer gepinkelte Duftspur, die später wieder erschnuppert werden kann.

Als Zweites sind staatliche Stellen wie Polizei und Geheimdienste zu nennen, die in den Milliarden von Kommunikationsdaten nach der Konspiration des Bösen suchen. In manchen Ländern sind aber eher die staatlichen Stellen die Bösen, die in den kritischen Bürgern ihre Feinde sehen und ihn deshalb ausspähen. Moralisch mag man das unterscheiden, doch von den Methoden her, ist es das selbe. Beängstigend ist auch die Vorstellung, dass das Eine in das Andere umschlagen könnte.

Drittens muss man feststellen, dass auch die demokratische Gesellschaften von dem Big-Data-Hype erfasst ist. Daten die von Behörden gesammelt werden, sind mittlerweile elektronisch gespeichert. Man denke an Messdaten von Umweltbehörden, statistische Daten von Ämtern oder Daten über die Einnahmen und Ausgaben öffentlicher Einrichtungen. Die Einsichtnahme der Bürger in solche Daten ist heute technisch leichter zu verwirklichen, als das früher noch der Fall war. Die Opendata-Bewegung fordert daher die rechtliche Freigabe solcher Daten und Ihre Verfügbarmachung durch dokumentierte Schnittstellen. In den großen Pressehäusern gibt es heute bereits Speziallisten für „Datenjournalismus“: Sie suchen in dem Wirrwarr öffentlicher Daten nach Auffälligkeiten und berichten darüber.

Nicht zuletzt ist auch die Wissenschaft an Big-Data interessiert. In vielen Disziplinen fallen große Mengen von scheinbar chaotischen Daten an und wollen durchforscht werden. Für unsere gesellschaftskritische Diskussion spielt dieser Bereich vielleicht keine besondere Rolle, doch muss er Erwähnung finden, da die Wissenschaft an den gleichen Methoden der Massendatenspeicherung und Massendatenanalyse interessiert ist und die Methoden von der Wissenschaft auch weiterentwickelt werden.

Datenanalyseverfahren? Bringen wir ein Beispiel: Bildervergleichen. Ein Bild einer Menschenmenge mit tausenden von Gesichtern wird verglichen mit Millionen von persönlichen Profil-Bildern aus den Internet-Netzwerken. Wer genau war bei diesem Konzert dabei oder bei dieser Demo. Ist das eine absurde Zukunftsvision? Nein, das ist eine Technologie, die gerade aus Ihren Kinderschuhen herauswächst. Wer kann so etwas gebrauchen? Zum einen die moderne Spaßgesellschaft als Kunden von Facebook und Co. und zum anderen die Polizei und die Geheimdienste.

Mit den neuen Datenmethoden wächst der Gesellschaft ein neues Sinnesorgan. Alle Bereiche gieren danach, sich dieses Organs zu bedienen, und Nutzen daraus zu ziehen: Den Kunden verstehen und besser abschöpfen können, Verbrecher fangen und Verbrechen verhindern können, Unrecht in der Gesellschaft erkennen und den Staat kontrollieren können. Und wir stehen erst am Anfang. Die technologische Entwicklung wird weitergehen. Wird unsere Gesellschaft damit umgehen können? Kann sich die Demokratie durch dieses schwierige Fahrwasser hindurchretten können?

Demnächst kommt „Google-Glaces“: Eine Brille mit Kamera. Alles „Gesehene“ kann sofort mit anderen Daten im Netz verglichen werden und interpretiert werden. Und: Alles „Gesehene“ kann für spätere Auswertungen aufgezeichnet werden. Was werden wir damit machen? Was werden die gesellschaftlichen Institutionen wie, Polizei und Geheimdiensten, Konzerne, Versicherungen, Medien u.s.w. damit machen.

Welche Leitlinien kann man der Gesellschaft in dem dargestelltem Konflikt geben? Worauf kommt es dabei an? Nur dem Staat das „Schnüffeln“ verbieten, während im kommerziellen und privaten Bereich das Datensammeln und das „sich gegenseitig beobachten“ immer ungehemmter passiert? Das kann es vielleicht nicht sein!

Damit das Schnüffeln nicht ausufert, brauchen wir anerkannte Verhaltensregeln für alle Beteiligten und auch Gesetze und auch Kontrollinstanzen. Aber welche Bereiche betrifft das?

Statt einer Korntrolle von Kommunikationsinhalten, brauchen wir also eine Kontrolle der eingesetzten Verfahren. Diese Kontrolle könnte von staatlichen Instanzen ausgeführt werden (von wem sonst) doch die demokratische Gesellschaft muss auch die Kontrollinstanzen kontrollieren können. Aktuell hat man den Verdacht, dass genau das nicht funktioniert. Als Grundsatz muss gelten, dass der Bürger den Staat kontrolliert, und nicht umgekehrt. Dazu müssen alle eingesetzten Datenverfahren öffentlich bekannt sein. Stattdessen wird z.Z. derjenige (Edward Snowden), der eine Öffentlichkeit endlich herstellt, international als Staatsverräter gesucht. Für die demokratische Welt ist dabei besonders peinlich, dass Snowden sich in einem Staat verstecken und schützen lassen muss, der nicht gerade als demokratischer Musterknabe gilt.

Zusätzlich ergibt sich immer mehr die Frage, welche Bedeutung die nationalen Grenzen für die Beantwortung unserer Fragen haben. Bisher hatte man den Eindruck, dass im Internet nationale Grenzen keine Relevanz mehr haben. Aus einer gewissen Sicht gilt aber heute das Gegenteil: „Zuhause pflegt man feine Umgangsformen, doch draußen auf der Straße darf herumgesaut werden“. National gelten zum Teil strenge Datenschutzregeln. Heere von Datenschutzbeauftragten achten in Deutschland in den Verwaltungen, den großen Firmen und den Universitäten auf die Einhaltung der Gesetze und pflegen Verfahrensverzeichnissen. Es gibt im Datenschutz aber keine absoluten Prinzipien. Man orientiert sich in Deutschland an den Rechten deutscher Bürger. Und Amerika orientiert sich an den Rechten amerikanischer Bürger. Außerhalb dieser engen rechtlichen Definitionen gelten dann keine Gesetze mehr. Das ist dann Spionage, und die darf alles.

In der Anfangsphase der NSA-Affäre bemühten sich alle nationalen Regierungen noch um Schadensbegrenzung. Alle Geheimdienste ziehen doch am gleichen Strang und unter befreundeten Staaten tauscht man auch schon mal gerne Daten aus. Durch die Enthüllungen über das Ausspähen des Handys der deutschen Kanzlerin, trat aber eine Wende ein. Es begann ein Umdenken, das dazu führt, dass der von mir beschriebene Gesellschaftskonflikt, nicht nur ein Konflikt zwischen Bürger und Staat ist, sondern zunehmend auch ein Konflikt zwischen den Staaten wird.

Ich bestehe aber darauf, zwischen dem Ausspionieren eines Regierungschefs und dem massenhaften Speichern aller Kommunikationsdaten eine klaren Unterschied machen. Das erste ist eigentlich klassische Spionage und nur bei dem Zweiten geht es um das neue Phänomen unsere Zeit, über das wir hier reden. Auch die Argumente in den Diskussionen unterscheiden sich. In dem ersten Fall sagt man „nicht unter Freunden“ , doch im zweiten Fall sind die Bedenken viel grundsätzlicher: Es darf von keiner Instanz aus eine prophylaktische Überwachung aller Kommunikation geben. Trotzdem gibt es zwei Gemeinsamkeiten. Das sind zum einen die technischen Möglichkeiten, die sowohl das gezielte Spionieren einer öffentlichen Person, wie auch das pauschale Überwachen aller Bürger begünstigen und als Zweites eine vielleicht zunehmende Enthemmung beim Datensammeln, die ebenfalls beides befördert.

Soweit einige Anregungen für eine Diskussion. Aktuell befinden wir uns aber noch gar nicht in der Diskussionsphase und noch nicht mal in der Aufklärungsphase – auch wenn ab und zu etwas Neues ans Tageslicht kommt. Noch sind wir in der Empörungsphase.


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