Von den Wassermassen zur Messereinwanderung – Befunde zum metaphorischen Sprachgebrauch der AfD im 19. Deutschen Bundestag

Von Claudia Schmitz

Kontakt: claudia.schmitz@uni-due.de

Die Partei „Alternative für Deutschland“ fiel in den letzten Jahren immer wieder durch ihren provokanten Sprachgebrauch auf. Durch immer neue sprachliche Tabubrüche, etwa die mehrdeutige „Vogelschiss“-Metapher, verschieben sich – so die Kritik – „die Grenzen des Sagbaren“ und damit der Diskurs nach rechts.

In meiner Staatsarbeit ging ich der Frage nach, ob sich diese der AfD vorgeworfenen „Grenzverschiebungen“ am Metapherngebrauch zeigen lassen.

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blog1Metaphern sind definiert als das Ergebnis sprachlich-kognitiver Projektionsprozesse, wobei Bedeutungsaspekte eines Herkunftsbereiches auf einen Zielbereich übertragen werden (Spieß und Köpke 2015). Metaphern können zudem verstanden werden als „Bündel von Schlußregeln“ (Pielenz 1993). Durch die Projektion von Implikationen werden Schlussprozesse in Gang gesetzt. Und auf Basis dieser Schlussprozesse werden Schlüsse gerechtfertigt, Handlungen bewertet und Handlungsziele definiert (ebd.)
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Untersuchungsmaterial waren die ab dem Einzug der AfD in das Parlament im 19. Deutschen Bundestag im Zeitraum eines halben Jahres von AfD, und ergänzend der CDU, gehaltenen Reden. Fokussiert wurde auf die Metaphorik von Migration. Die Ergebnisse wurden mit den Befunden vorangegangener Studien verglichen und zudem mit dem Metapherngebrauch der CDU kontrastiert.

Insgesamt beinhaltet das Korpus 238 Parlamentsreden der CDU und AfD mit mindestens einmaliger Nennung des Themas ‚Migration‘. Die AfD ist mit insgesamt 115 Reden, die CDU mit 135 Reden im Korpus vertreten. Die AfD spricht damit im direkten Vergleich trotz ihres niedrigerem Redeanteils überproportional häufiger auf das Thema Migration an.blog2

Darüber hinaus setzt die AfD im direkten Vergleich mit der CDU mehr Metaphern ein. Von insgesamt 480 gefunden Metaphern fallen 285 auf die AfD. Zudem speist die Metaphorik der AfD aus einem größeren Fundus an Herkunftsbereichen: 31 Herkunftsbereiche konnten ermittelt werden. Das sind weitaus mehr als im CDU-Korpus (21). Ein Teil dieser Herkunftsbereiche findet sich in den Bezugsstudien gefundenen Bereichen (etwa Regulierung, Bewegung, Biologie/Pflanze). Sieben Bereiche wurden weder in anderen Studien, noch im CDU-Korpus ermittelt.

blog3Den am häufigsten verwendeten Herkunftsbereich stellt der Bereich ‚Krieg und Kampf‘ (16%) dar, gefolgt von ‚Wasser und Naturkatastrophen‘ (16%), ‚Wirtschaft‘ (11%), ‚Krankheit‘ (8%) und ‚Religion‘ und ‚Bauwerk‘ sind jeweils mit 5% vertreten. Diese Herkunftsbereiche sind in vorangegangen Analysen ebenso ermittelt worden, allerdings mit rückläufiger Auftretenshäufigkeit (Wichmann 2018), welche nun im Metapherngebrauch der AfD reaktiviert werden.

 

Ein Ergebnis der qualitativen Analyse ist die Konstruktion eines Szenarios durch die AfD, das die Akteure im Sinne eines Schwarz-Weiß-Schemas gegenübergestellt. Mit dem Herkunftsbereich ‚Krieg‘ wird der Migrant als männlich, muslimisch und intentional handelnd konstruiert, mit dem Ziel der Ausbeutung und Zerstörung. Die Bevölkerung wird demgegenüber als weiblich (wenn männlich, dann einem ökonomisch-sozialem niedrigen Milieu zugehörig), passiv und überwältigt (herausgedrängt, beraubt) durch die Handlungen der Migranten konstruiert. Die Regierungsvertreter*innen sind ebenso wie die Gruppe der Migranten als intentional handelnd konstruiert, deren Politik aber als nicht wirksam oder aktiv unterlassend bewertet wird. Ein ähnliches Schema findet sich auch in den anderen Herkunftsbereichen: Migranten werden als Fachkräfte für Messerattacken bezeichnet, die von Regierungsvertreter*innen durch aktiven Etikettenschwindel nach Deutschland importiert werden. Die Bevölkerung stehe dem Geschehen machtlos und passiv gegenüber. Nicht als Subjekte ist die Bevölkerung konstruiert, sondern in Verbmetaphern (geopfert, verabreicht) immer als passive Objekte, an denen Handlungen durch Migranten und Regierungsvertreter*innen verübt werden.

Ein weiterer Befund der Untersuchung ist die Schwächung des Herkunftsbereichs ‚Wasser und Naturkatastrophen‘. Dieser Bereich in den vorangegangenen Diskursen der Migration dominant perspektivierende Bereich (Böke 1997; Krieger 2005), verschwindet im zuletzt untersuchten Diskurs (Wichmann 2018) und wird im Sprachgebrauch der AfD zwar wieder lebendig, erreicht aber nicht mehr den gleichen wichtigen Status. Im Sprachgebrauch der AfD ist dieser nur wenig komplex ausgestaltet: Ein Großteil der Metaphern sind Wiederholungen gleicher Strom-Metaphern (Flüchtlingsstrom, Migrationsströme). Die Realisierungen dieses Bereiches durch die AfD sind zudem konventionell, also bereits in vorangegangen Diskursen und durch die politische Konkurrenz ebenso verwendet worden (etwa anteilmäßig gleicher Gebrauch durch die CDU). Sie erfahren keine kreativen Neuerungen und eignen sich insofern auch nicht zur Abgrenzung vom Sprachgebrauch der „etablierten Politik“.

Darüber hinaus passt die Wasser-Metaphorik nicht so richtig in die durch ‚Krieg und Kampf‘ und die anderen Bereiche angereicherte Konstruktion der Intentionalität und Verantwortlichkeit der „etablierten Politik“: Wassermassen (Flüchtlingsstrom, Flüchtlingswelle) stellen ein „unvermeidbares Schicksal“ dar. Eben die Unvermeidbarkeit von Katastrophen aber entlastet die Regierung in ihrer durch die AfD zugeschriebene Verantwortung. Wasser als Herkunftsbereich konstruiert Migrationsprozesse als „Vorgänge ohne erkennbares Agens“ (Krieger 2005), also als ungesteuerte Prozesse ohne ein verantwortlich handelndes Subjekt. Die Wasser-Metaphern erzeugen so zwar Angst und Bedrohlichkeit, evozieren aber nur ein „schwaches Bild“ vom Migranten. Vordergründig unstimmig zur durch die AfD in ihren Reden wiederholten Betonung dringender Handlungsnotwendigkeit gegen weitere Zuwanderung, zeigt Wasser-Metaphorik nicht auf konkrete Handlungsmöglichkeiten, sondern gerade auf die Handlungsunfähigkeit gegenüber der Naturgewalt. Erzeugt werden Gefühle von Ohnmacht, und Migration wird damit konstruiert als hinzunehmendes Schicksal. Mittels Wasser-Metaphorik wird Migration und die Gruppe der Migrant*innen als „entindividualisierte Masse“ (Böke 1997) und so als wenig steuerbares Phänomen perspektiviert.

Die AfD zeichnet ein komplett anderes Bild von Migrationsprozessen und dahinterstehenden Personen. Die „entindividualisierte Masse“ ist in ihrer Perspektive eine Masse mit klarer Intention: zu berauben und zerstören. Durch die dominante Konstruktion als Kriegsgeschehen, ist Migration nicht mehr ein „hinzunehmendes Schicksal“, sondern ein aktiv herbeigeführtes und steuerbares Phänomen. Insgesamt bedient sich die AfD so zwar konventioneller Herkunftsbereiche, durch die Verschiebung aber der dominanten Bereiche entsteht jedoch eine andere Perspektive und damit andere Schlussprozesse. Während im Bild der Wassermassen präventiv Dammbau betrieben werden kann – also unrealistische Handlungsmöglichkeiten impliziert werden, da sie innerhalb des Sprachbildes verbleiben – legen Implikationen des Herkunftsbereichs ‚Krieg und Kampf‘ realistische Schlussprozesse nahe und sind so mit Blick auf die gangbare Übersetzung vom Wort zur Tat als besonders gefährlich einzustufen.

Literatur

Böke, Karin (1997): Die Invasion aus den Armenhäusern Europas. Metaphern im Einwanderunsgsdiskurs. In: Matthias Jung (Hg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag. Opladen: Westdt. Verl., S. 164–193.

Krieger, Anette (2005): Ein Haus mit offenen Fenstern und Türen. Metaphern im Einwanderungsdiskurs von 1998 bis 2001. In: Martin Wengeler (Hg.): Sprachgeschichte als Zeitgeschichte. Hildesheim: Olms (Germanistische Linguistik, 180/181), S. 410–436.

Hülsse, Rainer (2003): Sprache ist mehr als Argumentation. Zur wirklichkeitskonstituierenden Rolle von Metaphern. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 10 (2), S. 211–246.

Pielenz, Michael (1993): Argumentation und Metapher. Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1992. Tübingen: Narr (Tübinger Beiträge zur Linguistik, 381).

Spieß, Constanze; Köpcke, Klaus-Michael (2015): Metonymie und Metapher – Theoretische, methodische und empirische Zugänge. In: Constanze Spieß und Klaus-Michael Köpcke (Hg.): Metapher und Metonymie. Theoretische, methodische und empirische Zugänge. Berlin, Boston: De Gruyter (Empirische Linguistik – empirical linguistics, 1), S. 1–21.

Wichmann, Martin (2018): Metaphern im Zuwanderungsdiskurs. Linguistische Analysen zur Metaphorik in der politischen Kommunikation. Doctoral Thesis. 1st, New ed. Frankfurt a.M: Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften (Arbeiten zur Sprachanalyse, 62).

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