Merkel in den Genen? – an der Schnittstelle von Genforschung und Politikwissenschaft

Von Florian Rabuza

Neuere Ergebnisse politikwissenschaftlicher Forschung deuten darauf hin, dass die Gene eines Menschen einen Einfluss auf seine politischen Präferenzen und Verhaltensweisen haben. Dieser Einfluss wirkt unabhängig von den sozialen und ökonomischen Umständen eines Menschen, also unabhängig von der Umwelt, in der er oder sie sich bewegt. Auch Ansätze, die die Rolle der Sozialisation eines Individuums betonen, scheinen nur unvollständig zur Erklärung politischen Verhaltens, sofern nicht auch die genetische Komponente berücksichtigt wird.

Seit ungefähr zehn Jahren beschäftigen sich vor allem US-amerikanische Politikwissenschaftler mit dem Zusammenhang der genetischen Konfiguration und politischen Einstellungen wie Konservatismus oder Parteiidentifikationen. Dabei steht die Frage nach der Vererbung politischer Orientierungen im Vordergrund. Gibt es also einen politischen Genotypen der einen spezifischen politischen Phänotypen hervorbringt? Ist es also quasi in meinen genetischen Kode eingeschrieben, ob ich CDU, SPD oder AfD präferiere? Und kann ich mich in Bezug auf meine Kandidatenpräferenz in einer politischen Diskussion in Zukunft einfach aus der Affäre ziehen, wenn ich mich rechtfertigen soll Angela Merkel gut zu finden und Per Steinbrück abzulehnen: „Ich kann gar nicht anders: Ich habe das konservative Gen!“ Zugegeben diese Argumentation verlockt dazu auf viele Lebensbereiche übertragen zu werden und unsere Gene, oder eher das, was wir für einen Ausdruck unserer genetischen Konfiguration halten, als Rechtfertigung für alles heranzuziehen. Blöd nur, dass wir unseren genetischen Fingerdruck (noch) nicht kennen. Im Gegensatz zu immer mehr Politikwissenschaftlern, die ihre Untersuchungen auf entsprechende Daten gründen können. Einschlägige amerikanische Studien, die den Zusammenhang von Genen und politischem Verhalten untersuchen, stützen sich oft auf die Analyse von Zwillings-Stichproben. Wenn beispielweise Zwillinge häufiger ähnliches politisches Verhalten zeigen, dann ist das Evidenz für einen Einfluss der genetischen Konfiguration, insbesondere dann, wenn die Zwillinge in unterschiedlichen Kontexten leben. Es gibt aber auch Studien, die auf Datenbanken mit kompletten genetischen Fingerabdrücken zurückgreifen, um mit aufwendigen statistischen Verfahren Zusammenhänge zwischen Genom und politischen Dispositionen aufzudecken versuchen.

Die prototypische Arbeit von Fowler und Dawes (2008) geht bereits so weit zu behaupten, dass Gene individuelles Wahlverhalten vorhersagen können. Die Forscher identifizieren in dieser Arbeit einen statistischen Zusammenhang zwischen zwei Genen und der Wahrscheinlichkeit eines Individuums wählen zu gehen. Dieser Zusammenhang ist auch bei Kontrolle um klassische Prädiktoren von Wahlbeteiligung robust.

Neuere Arbeiten erweitern das Spektrum. Sie untersuchen den Zusammenhang zwischen genetischer Struktur und einer Vielzahl politischer Orientierungen. Insbesondere das staatsbürgerliche Pflichtbewusstsein und das Gefühl politischer Kompetenz und Wirksamkeit scheinen genetisch vererbt zu sein (Klemmensen et al. 2012). Hier sind bereits auch erste international komparative Arbeiten gemacht worden, die die USA und Dänemark vergleichen.

Es gibt auch ein wachsendes Interesse an den kausalen Mechanismen, die zwischen den Genen und dem politischen Verhalten und Orientierungen wirken. So gibt es Studien, die zeigen können, dass die Verbindung von bestimmten Genen und politischer Beteiligung von der Persönlichkeit des Individuums abhängt (Dawes et al. 2014).

Natürlich gibt es auch Kritik an der Sichtweise eines genetischen Determinismus und es muss erwähnt werden, dass sich Studien, die einen Zusammenhang zwischen politischen und auch nicht-politischen Verhaltensweisen (z.B. Alkoholmissbrauch, Sexualverhalten, Risikofreude) und Einstellungen (z.B. soziales Vertrauen, Selbstbewusstsein) untersuchen, oft widersprechen. Für einen umfassenden Überblick solcher Studien empfehle ich den Artikel von Charney und English (2012) in der American Political Science Review. Hier wird deutlich, dass selbst Studien, die die Effekte von nur vier Genen untersuchen, zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Insgesamt ist also längst noch nicht klar, in welchem Verhältnis Genom und Umwelt stehen. Dies hängt auch wesentlich damit zusammen, dass sich natürlich auch das Paradigma gentechnischer Forschung im Laufe der Zeit verändert, also die Art und Weise wie im Bereich der Genforschung über die Wirkweise von Genen gedacht wird. Nichtsdestoweniger denke ich, dass die Synthese von Genforschung und politikwissenschafltich-behavioralistischer Forschung vielversprechende Erkenntnisse liefern kann, die zu einem umfassenderen Verständnis des politischen Menschen beitragen kann.

Verwendete Literatur

Charney, Evan/ English, William (2012): Candidate Genes and Political Behavior. In : American Political Science Review 106(1)

Dawes, Christopher/ Cesarini, David/Fowler, James H./ Johannesson, Magnus/ Magnusson, Patrik K. E./ Oskarsson, Sven (2014): The Relationship between Genes, Psychological Traits, and Political Participation. In: American Journal of Political Science (Early View Version).

Fowler, James/ Dawes, Christopher (2008): Two Genes Predict Voter Turnout. In: Journal of Politics 70 (3): 579–94.

Klemmensen, Robert / Peter K Hatemi / Hobolt, Sara Binzer/  Petersen, Inge/ Skytthe, Axel / Nørgaard, Asbjørn (2012): The genetics of political participation, civic duty, and political efficacy across cultures: Denmark and the United States. In: Journal of Theoretical Politics 24(3): 409–427.

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