Parteienverbot in Deutschland, Framing und die Beeinflussbarkeit der öffentlichen Meinung: Ergebnisse eines Duisburg-Essener Lehrexperiments

von Achim Goerres

Ein Lehrexperiment zeigt, dass selbst bei politisch interessierten Menschen politische Meinungen sehr stark von der Einbettung der Meinungsabfragen abhängen.

In diesem Beitrag berichte ich über die Stärke von Framing für die Beeinflussung politischer Meinungen und berichte dazu einige Ergebnisse eines wissenschaftlichen Experiments, dass ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt habe.

Unter Framing versteht man die Einbettung von Kommunikationsinhalten in weitere Kommunikationselemente: wenn man beispielsweise eine Frage stellt, ist es wichtig, was man vorher gesagt hat und wie man die Frage konkret formuliert.

In der Politik moderner Demokratien ist öffentliche Meinung wichtig, weil sie den Volkswillen zwischen den Wahlen abzubilden scheint. In jeder Tageszeitung finden sich Umfrageergebnisse aus eigenen Umfragen oder aus denen von bezahlten Instituten. 50 % der Bevölkerung finden dies, 30 % meinen… und so weiter.

Dabei wird suggeriert, dass Meinungen von Individuen einfach existieren und nur wie ein Blatt Papier aus einer Schublade geholt werden müssen. Das sind sie aber nicht, wie das folgende Experiment zum Parteienverbotsverfahren exemplarisch zeigt, in dem Ansätze von Kahnemann und Tversky (1981) imitiert werden.

In einer Lehrveranstaltung teilte ich die anwesenden Studierenden zufällig in zwei Gruppen auf. Dazu teilte ich die Gruppen nach dem Mädchennamen der Mutter (der mir ja unbekannt sein muss) ein. Es ist stark davon auszugehen, dass die Zuteilung des Anfangsbuchstabens eines Nachnamens nichts mit politischen Meinungen zu tun hat. Streng genommen war es allerdings kein kontrollierter Zufall, d.h. ich wusste nicht zu 100 %, ob die Gruppeneinteilung nach Zufall stattgefunden hatte.

Jede Gruppe bekam eine dreiminütige Präsentation mit drei Folien zu sehen, an deren Ende eine Frage gestellt wurde, die die Studierenden dann mithilfe einer ja/nein-Abstimmung beantworteten. Die Präsentationen waren so programmiert, dass jede Präsentation gleich lang lief.

Gruppe 1 Gruppe 2
Folie 1 Parteienverbot

In Deutschland ist es möglich, dass das Bundesverfassungsgericht eine politische Partei nach Antrag beispielsweise durch den Bundestag in einem genau geregelten Verfahren verbietet. Für ein solches Verbot muss belegt sein, dass diese Partei sich verfassungswidrig verhält. Zurzeit läuft so ein Verfahren für die Partei NPD auf Initiative des Bundesrates.

Folie 2 In den 1950er Jahren wurde dieses sogenannte Parteiverbotsverfahren bereits zweimal in der ehemaligen Bundesrepublik für ein Verbot der linksextremistischen Kommunistischen Partei Deutschlands und der rechtsextremistischen Sozialistischen Reichspartei erfolgreich eingesetzt. In vielen anderen liberalen Demokratien sind Parteiverbotsverfahren nicht möglich, so zum Beispiel im Vereinigten Königreich und den USA. Zudem gibt es Vorbehalte auf europäischer Ebene gegen die deutsche gerichtliche Umsetzung, die sich bisher an einer abstrakten und nicht einer konkreten Gefährdung der Verfassung durch das Verhalten der Partei orientiert.
Folie 3 Bitte schreiben Sie Ihre Antwort „ja“ oder „nein“ auf einen Zettel und legen Sie ihn auf den entsprechenden Stapel an den Ausgängen.Sind Sie dafür, dass der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung das Recht haben sollten, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Verbot einer Partei zu stellen?
Zustimmungsrate 91 % 72 %
Größe der Gruppe 46 39

p-Wert eines einseitigen Hypothesentests gleich 0.9 %. H0: p2(Y=1)-p1(Y=1)<=0

Gruppe 1 bekam ein aus der Perspektive des Parteienverbots positives Framing, nämlich die Information, dass das Verfahren schon einmal in der ehemaligen BRD erfolgreich eingesetzt worden war.

Gruppe 2 bekam ein deutlich relativierendes negatives Framing, in dem ich den Teilnehmenden das im internationalen Vergleich eher ungewöhnliche Verfahren und die Kritik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Europarates kurz darbrachte.

Nun war die Gruppe von Studierenden in dem Hörsaal sicherlich politisch interessierter als der deutsche Durchschnittsbürger. Aufgrund ihres Studieninhalts und aufgrund der Tatsachen, dass sie meine Veranstaltung tatsächlich besuchten und freiwillig am Experiment teilnahmen, können wir mit Sicherheit davon ausgehen. Weiterhin handelte es sich um ein sehr aktuelles Thema, das in vielen Medien aufgrund des aktuellen Verfahrens gegen die NPD diskutiert wurde.

Trotzdem zeigt sich ein beeindruckender Unterschied zwischen den Gruppen von 19 Prozentpunkten in der Befürwortung des Parteienverbotsverfahrens. Gruppe 2, die relativierende Informationen bekommen hatte, zeigte im Anschluss deutlich weniger Zustimmung. Der Unterschied ist statistisch signifikant, d.h. wir können mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieser Unterschied nicht durch Zufall bestimmt wurde, sondern systematisch auf Gruppenunterschiede zurückzuführen ist. Wenn man nun mal davon absieht, dass das Ganze ein Lehrexperiment war, kann man sagen: selbst eine politisch interessierte Gruppe von Studierenden ist bei einem Politik-Thema, über das sie wahrscheinlich schon einmal nachgedacht haben, durch verschiedenes Framing beeinflussbar.

Dies ist ein allgemeiner Befund der politischen Psychologie und nicht typisch für diese Studierenden, sondern allgemein gültig.

Was lernen wir daraus? Wir müssen vorsichtig sein in der Interpretation jeglicher öffentlicher Meinung, die in einer Umfrage gemessen wurde. Wie wurde die Frage gestellt? Was wurde vorher gesagt oder gefragt? Wie wurde die Frage formuliert. Es gibt keine absoluten politischen Meinungen zu einem Thema von öffentlichem Interesse.

 

Referenz:

Kahnemann, Daniel/Tversky, Amos (1981): The framing of decisions and the psychology of choice, Science, 211/4481, S. 453-458.

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